Internationales Symposium /

International Symposium

Vorhoelzer Forum der Technischen Universität München

Arcisstrasse 21, 5. Obergeschoss


Dienstag, 17. September 2013

Tuesday, September 17, 2013

Einführung / Introduction

Muck Petzet

RRR: One year after


Der deutsche Beitrag für die Architekturbiennale in Venedig 2012 Reduce / Reuse / Recycle hat ein großes und positives Echo in den Medien gefunden – doch hat er auch etwas bewirkt?


Die Übertragung des hierarchischen Wertesystems der Abfallvermeidung - von Vermeidung / Weiterverwendung / Verwertung - auf den Umgang mit vorhandener Architektur hat zu Erkenntnissen über Strategien und ein mögliches hierarchisches Bewertungssystem für Eingriffe in den Bestand geführt. Die gezeigten Beispiele und die Ausstellung haben das ‚undankbare’ Thema Umbau über inhaltliche, architektonische und gestalterische Argumente für ein breites Publikum interessant gemacht. Aber war die demonstrierte ‚affirmative’ Grund-Haltung im Umgang mit sperrigen Bestandsbauten, die Haltung von Architekten die sich nicht mehr primär als ‚Entwerfer’ betrachten sondern als ‚Entwickler’ und ‚Entdecker’ des Vorhandenen, tatsächlich Vorboten eines neuen Bewusstseins, einer allgemeinen Wertschätzung der vielschichtigen Energien des Bestands?


Leider noch nicht. Denn auch ein Jahr später muss man feststellen, dass – gerade in wirtschaftlich prosperierenden Regionen wie München – in der Praxis ein unverändert bedenkenloses Abbruch- und Tabula-Rasa Denken herrscht. Energetische Effizienz wird weitgehend mit den Verbrauchsdaten der Heizung gleichgesetzt und bietet den willkommenen Anlass, Abbrüche von ‚ungeliebten’ Erzeugnissen der Nachkriegsmoderne zu begründen (oder die aufkeimende denkmalpflegerische Wertschätzung von Gebäuden dieser Zeit als klimaschädlich zu brandmarken). Auch die etablierten Zertifizierungssysteme vernachlässigen die Herstellungsenergie von Gebäuden oder blenden durch künstliche ‚Systemgrenzen’ die durch Abbrüche freigesetzte Energie von Vorgängerbauten aus.


Gleichzeitig gibt es Anzeichen der Veränderung, ein zunehmendes Bewusstsein von der Existenz und vom Wert ‚grauer Energien’. Im Forschungsbereich werden momentan die Grundlagen erarbeitet um in Zukunft die Herstellungs-, Abbruch- und Entsorgungsenergien in energetischen Lebenszyklusbetrachtungen berücksichtigen zu können. Die Schweiz hat hierzu bereits eine SIA-Norm eingeführt. Auch der ökonomische Wert der Bausubstanz wird immer wichtiger: In Zeiten, in denen es, auch aufgrund der hohen Anforderungen und Standards, kaum mehr möglich ist, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, in denen Schrumpfungsregionen mit massiven Wertverlusten und einem entsprechenden Investitionsstau rechnen müssen, werden plötzlich Einsparungen durch intelligente Weiterverwendung interessant, die bisher unter dem Motto "wenn schon – dann gleich richtig" (und richtig ist eben in diesem Denken ‚neu’) keine Beachtung fanden. Hinzu kommt eine sich langsam verändernde Wahrnehmung und beginnende Wertschätzung auch der ‚grauen Architektur’, der ‚Massenware’ der Nachkriegsmoderne: eine Entdeckung der Identifikation stiftenden Potenziale der sozialen und historischen ‚Energien’ von Bauten und Siedlungen der Moderne –  bis hin zu den lange verrufenen 1960er- und 1970er-Jahren.


Eine Welt, in der es nicht mehr nur um quantitatives, sondern zunehmend um qualitatives Wachstum und den Erhalt unserer existentiellen Lebensbedingungen geht, erfordert ein neues, bewussteres Denken und Handeln. Die Technologien für eine CO2-neutrale Energieversorgung unserer Gebäude sind vorhanden, aber nicht die Ressourcen und Energien, um das Vorhandene auf einen Schlag ‚effizient’ zu erneuern. Und die Architekten von morgen? Die heutigen Studenten rümpfen nicht die Nase über ‚Umbauaufgaben’. Sie wissen, dass die Arbeit mit dem Bestand ihr Berufsleben weitgehend bestimmen wird, dass sie ihre Kreativität mit den vorhandenen Potenzialen verbinden müssen, um des Bestehende auf eine neue Entwicklungsstufe zu bringen.


Die Verbindung von analytischem, kreativem und technischem Know-how wird immer wichtiger werden. In den 1970er Jahren entwickelten Architekten ‚Bausysteme’ – heute müssen sie ganz unterschiedliche Bauten und Situationen verstehen, kreativ weiterdenken und technisch verbessern. Nur vernetztes Denken ermöglicht es, die komplexen Auswirkungen unseres Handelns abzuschätzen und echte Verbesserungen zu erzielen. Das ‚passive’ Denken, das ‚weniger schlecht’ sein wollen – das auch noch in der 3R Abfallhierarchie steckt – könnte von Denkmodellen wie ‚cradle to cradle’ abgelöst werden, die eine aktive Verbesserung der Lebensbedingungen, der ökologischen und sozialen Parameter und eine Vereinbarkeit von technischen und biologischen Kreisläufen für möglich halten.


Die Ausstellung im Amerika Haus bringt die in Venedig vorgestellten Projekte und Bilder mit Studentenentwürfen zusammen, die als konkrete Alternativen zu aktuellen Abbruchprojekten in München entstanden sind. Die Entwurfsseminare endeten jeweils in einer Demonstration für den Erhalt von Bauwerken in München wie dem Gesundheitshaus, der Müllerstraße 6 oder dem Quiddezentrum in Neuperlach.


Auch das Amerika Haus war bis vor kurzem von einem ‚inhaltlichen’ Abbruch bedroht. Das Haus sollte seine – die ganze Architektur durchdringende und bestimmende – Nutzung verlieren. Der Ausstellungsort ist, wie die ausgestellten Projekte, selbst ein Beleg für den Wert bürgerlichen und architektonischen Engagements, für den Erhalt und die Weiterentwicklung der in Gebäuden gebundenen Energien.